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Tagesbuch

Kann man Richter sein über seinesgleichen?

2.10.2006 | Thema: Lektüre, Tagebuch |

Über den Glauben bis ans Ende

Denke vor allem daran, daß du niemandes Richter zu sein vermagst. Denn es kann auf Erden niemand Richter sein über einen Verbrecher, bevor nicht der Richter selber erkannt hat, daß er genau so ein Verbrecher ist wie der, der vor ihm steht, und daß gerade er an dem Verbrechen des vor ihm Stehenden vielleicht mehr als alle anderen auch die Schuld trägt. Wenn er aber das erkannt hat, dann kann er auch Richter sein. Wie unsinnig dies auch erscheinen mag, so ist es doch die Wahrheit. Denn wenn ich selbst gerecht wäre, würde es vielleicht auch den Verbrecher nicht geben. Vermagst du aber das Verbrechen des vor dir stehenden und von deinem Herzen verurteilten Verbrechers auf dich zu nehmen, so tue das ungesäumt, nimm es auf dich und leide selber an seiner Statt, ihn aber entlasse ohne Vorwurf. Und selbst wenn das Gesetz dich zum Richter über ihn be­stellt, so wirke doch auch dann in diesem Geiste, denn er wird weggehen und sich selbst noch viel bitterer verurteilen als dein Urteil es tun könnte. Sollte er aber mit deinem Kuß ungerührt davongehen, womöglich noch lachend und spot­tend über dich, so lasse dich auch dadurch nicht irremachen: es bedeutet nur, daß seine Stunde noch nicht gekommen ist; aber sie wird noch kommen zu ihrer Zeit. Und sollte sie für ihn auch nie kommen, so ist das doch nebensächlich: wenn nicht er, so wird ein anderer an seiner Statt zur Er­kenntnis gelangen und leiden, sich selbst richten und schul­dig sprechen, und die Wahrheit wird dann anerkannt sein. Glaube daran, glaube unverbrüchlich daran, denn in eben diesem liegt ja die ganze Zuversicht und der ganze Glaube der Heiligen.

Wirke unermüdlich. Wenn dir etwas noch spät abends einfällt, schon im Einschlafen, und du dir sagst: »Ich habe nicht getan, was hätte getan werden sollen«, so erhebe dich ungesäumt und tue es. Wenn du ringsum von boshaften und gefühllosen Menschen umgeben bist, die nicht auf dich hören wollen, so falle vor ihnen nieder und bitte sie um Vergebung, denn wahrlich bist auch du schuld daran, daß sie nicht auf dich hören wollen. Wenn es aber schon so weit ist, daß du mit den Verbitterten nicht mehr reden kannst, so diene ihnen schweigend und in Erniedrigung, ohne je­mals die Hoffnung aufzugeben. Wenn aber alle dich ver­lassen, oder sogar dich mit Gewalt hinausjagen, und du dann ganz allein dastehst, so falle zur Erde nieder und küsse sie, netze sie mit deinen Tränen, und die Erde wird aus deinen Tränen Frucht erstehen lassen, obschon dich niemand gesehen und gehört hat in deiner Einsamkeit. Glaube bis ans Ende, selbst wenn es geschehen sollte, daß alle Welt ab­trünnig würde und nur du allein gläubig bliebest; bringe auch dann dem Herrn dein Opfer dar und preise ihn, du, der einzige Übriggebliebene. Und wenn sich dann noch so einer zu dir gesellt, – dann ist das ja schon die ganze Welt, die Welt der pulsierenden Liebe: umarmt einander in Er­griffenheit und lobet den Herrn, denn so hat sich doch, und wäre es auch nur in euch beiden, das Wort des Höchsten erfüllt.

Wenn du nun selbst sündigst und zu Tode betrübt bist wegen deiner Sünden oder wegen deines einzelnen plötz­lichen Sündenfalls, so freue dich über den anderen, freue dich über den Gerechten, freue dich, daß, wenn du auch sündigtest, er dafür standhaft blieb und nicht der Sünde verfiel.

Wenn aber die Ruchlosigkeit der Menschen dich bis zum Zorn empört und mit bereits unüberwindlichem Gram er­füllt, ja, dich sogar bis zum Rachedurst an den Frevlern auf­wühlt, so fürchte mehr als alles andere diese Regung; gehe dann sofort und suche dir Qualen, als wärest du selber schuld an dieser Ruchlosigkeit der Menschen. Nimm diese Qualen auf dich und halte sie aus, und dein Herz wird zur Ruhe kommen und du wirst begreifen, daß du auch selber schuldig bist, denn du hättest ja den Missetätern leuchten können, sei es auch nur als einziger Sündenloser, und hast es nicht getan. Wenn du aber so geleuchtet hättest, dann hättest du mit deinem Licht auch anderen den Weg erhellt, und jener, der die Missetat beging, würde sie bei deinem Licht vielleicht gar nicht begangen haben. Und selbst wenn du geleuchtet hättest und dennoch sehen müßtest, daß die Menschen sich nicht einmal bei deinem Licht retten wollen, so bleibe trotzdem fest und zweifle nicht an der Kraft des himmlischen Lichtes; glaube daran, daß sie, wenn sie sich jetzt nicht der Rettung zuwandten, sich später retten wer­den. Oder wenn auch später nicht, so werden es doch ihre Nachkommen tun, denn dein Licht wird nicht sterben, selbst wenn du schon gestorben sein wirst. Der Gerechte ist sterblich und geht dahin, sein Licht jedoch bleibt. Es ist nun einmal so, daß man sich immer erst nach dem Tode des Retters der Rettung zuzuwenden beginnt. Das Menschen­geschlecht pflegt seine Propheten nicht anzuerkennen und sie umzubringen, aber die Menschen lieben ihre Märtyrer und verehren die, die sie marternd umbrachten. Du aber arbeitest für das Ganze, wirkst für das Kommende. Beloh­nung aber suche du nie, denn ohnehin ist dein Lohn schon groß hier auf Erden: diese deine geistige Freude, die nur der Gerechte erwirbt. Fürchte weder die Vornehmen noch die Mächtigen dieser Welt, aber sei weise und immer voll An­stand. Lerne Maß halten, lerne abwarten, übe dich darin. Wenn du in der Einsamkeit verbleibst, so bete. Gib dich hin an die Erde, indem du niederfällst und sie küßt. Küsse die Erde und liebe sie ohne Unterlaß und unersättlich, liebe alle, liebe alles, suche das Entzücken und die Ekstase der Liebe. Netze die Erde mit den Tränen deiner Freude und liebe diese deine Tränen und schäme dich nicht dieser Über­schwänglichkeit; laß sie dir teuer sein, denn sie ist eine Gnade Gottes, ist ein großes Geschenk, und wird ja auch nicht vielen zuteil, nur Auserwählten.

Die Brüder Karamasow von Fjodor M. Dostojewski


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