Mission und Beständigkeit der Gottesdienstform
13.09.2005 | Thema: Ambrosius Backhaus, Athos |
Ambrosius Backhaus
Breklum
27. Februar 2004
Die Verkündigung der Frohen Botschaft hat viele Formen. Der Herr Jesus Christus redet vom Schiff, wenige Meter vom Lande, zu einer großen Menge; ER spricht mit der Frau am Brunnen in Samarien in der Hitze des Mittags, ER sieht den Kranken am Teiche Bethesda und den Zöllner Zachäus auf dem Baum und redet ganz persönlich zu ihnen. ER begegnet Maria von Magdala in der Nähe des Grabes und tritt durch verschlossene Türen zu den Jüngern; ER gedenkt des Thomas und erscheint nach acht Tagen wiederum den versammelten Jüngern, Thomas in ihrer Mitte; ER spricht zu dem zweifelnden Nathanael und hört die Bitte des Hauptmanns von Kapernaum.
Ebenso vielgestaltig berichtet die Apostelgeschichte von der Predigt des Petrus am Pfingsttage und von der Anrede an Saulus auf dem Weg nach Damaskus; ER schickt den Philippus dem Kämmerer aus dem Mohrenland, und die Apostel hören den Ruf der Gemeinde, die den Heiligen Geist noch nicht empfangen hatte.
Das sind nur wenige Beispiele der unerschöpflichen Fülle der Wege, auf denen das Evangelium verkündet, wirksam verkündet wird. In der Geschichte der Kirche sind die Formen ebenso vielfältig. Nina bringt die Kunde von Jesus, dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn nach Georgien, indem sie in der Nähe der Hauptstadt in einer kleinen Hütte bei offenen Türen betet und die Gottesdienste der Kirche singt.
Nur noch ein Beispiel: die Glocken, die von den Muslimen als ein typisch christlicher Ruf zum Gebet und zum Glauben empfunden werden. Paulus redet von dem „tönenden Erz und der klingenden Schelle“; die frühe Kirche sah in den Glocken ein Zeichen heidnischer Verkündigung. Aus dem fernen Osten kam die Glocke neu nach Rußland, dem glockenreichen Land, über Skandinavien nach Europa, und heute rufen die Glocken der Kirchen zum Gebet und zum Glauben. Auf dem Athos ruft das Simandron, die dumpfe hölzerne „Glocke“, zum Gebet in die Kirche.
Genug der Beispiele, die sich in jeder Gestalt der Kirche durch immer neue Gestalt der Verkündigung vermehren lassen:
Das Wort allein ohne Bild und Zeichen; das Bild in der Ikone als sichtbares Bekenntnis zur Menschwerdung Gottes in Christus, die Krankenheilung als Zeichen, daß Christus der Herr ist und seiner Gemeinde die Vollmacht schenkt, Kranke zu heilen.
Die orthodoxen Kirchen haben erfahren, vor allem in den Zeiten der Verfolgung durch Tataren, durch den Islam, durch den sowjetischen Staat, daß die Beständigkeit des Gottesdienstes der Kirche mit allen dazu gehörenden Formen den Glauben durch die Zeit trägt, auch wenn die Kirche bedrängt wird und das Wort der Predigt und der Verkündigung unterdrückt wird und unter der Macht der Gegner der Kirche fast völlig verstummen muß.
Die in Jahrhunderten gereifte Form des Gottesdienstes, der großen Liturgien des Abendmahles und der Gottesdienste, die vom Abend über die Mitternacht bis zur Todesstunde des Herrn in Wort, Gesang und Zeichen den Glauben verkünden, haben alle Verfolgungen überstanden. Da wird das Stehen in der Kirche und das Kopftuch der Frau zur schweigenden, aber deutlichen Verkündigung, daß der Herr König ist und Christus auch die unscheinbaren Kleinigkeiten des Lebens zum Zeichen Seiner Liebe und Gegenwart werden läßt.
Die übervollen Weihnachtsgottesdienste sprechen eine deutliche Sprache: Der Kirchenferne, der nur Weihnachten in die Kirche kommt, erwartet immer wieder die gleiche Feier, die gleiche Verkündigung, auch wenn er dem Inhalt der Botschaft kein besonderes Interesse abgewinnen kann. Neuerungen verwirren ihn und vielleicht kommt er das nächste Jahr nicht wieder. Die im Grundentwurf immer gleichen Weihnachtsgottesdienste sind zunächst ein äußerlicher Anlaß, in die Kirche zu kommen, aber zugleich ein beständiger Anlaß bei dem – zu Weihnachten – auch viel Volkstum das Verhalten der nur Kirchensteuer zahlenden Christen bestimmt.
Griechen stehen in der Frühlingssonne draußen vor der Kirche, rauchend, und sind zufrieden, daß ihre Liturgie gefeiert wird – ein extremes Beispiel, das wieder betont, wie wichtig ein beständiger Gottesdienst ist, wo man immer weiß, was geschieht und geschehen wird.
Wobei unsere Verkündigung ihre Kraft daher nimmt, daß wir „wieder und wieder“ die großen Taten Gottes verkünden, die über unser Verstehen hinaus gehen, die uns aber glücklich, selig machen.
Diese Gestalt des Gottesdienstes ist gewachsen, in Jahrhunderten gereift. Die großen Liturgien der orthodoxen Kirche – benannt nach Johannes Chrysostomos, Basilius dem Großen und Gregor dem Dialogen – sind zu ihrer heutigen Form herangereift, und jedes orthodoxe Volk hat nicht nur seine Sprache, sondern oft auch Besonderheiten in kleinen Varianten der Gottesdienste.
Auch wo eine neue Form entsteht, bedarf es langer Zeit, vieler Jahre, bis sie für die Gemeinde, gerade für die seltenen Kirchgänger, etwas Vertrautes wird, auf die man sich verlassen kann. Die Ausnahme ist der gemeinsame Gottesdienst heute noch getrennter Kirchen, für den wir die Kraft des Heiligen Geistes erbitten und wo wir tastend suchen eine Gestalt zu finden, die wir gemeinsam, jeder in der Gewißheit seines Glaubens und seines Lebens in der Gemeinde – seiner Tradition -, miteinander feiern. Gewinnt dieser Gottesdienst Beständigkeit, so wird er zum Mittelpunkt einer wachsenden Gemeinde aus allen Kirchen (wie die St. Ansgar-Vesper in Hamburg)
Der uns anvertraute Ruf der Verkündigung ist einfach und in jede Sprache zu übersetzen:
GOTT liebt uns – GOTT ist um unseres und um unseres Heiles willen Mensch geworden -, geboren in Bethlehem; getauft im Jordan, da sich Gott als der Dreifaltige Gott offenbarte; gelebt in unserer Mitte; gekreuzigt, gestorben, auferstanden von den Toten; uns gegenwärtig in leiblicher Nähe in den heiligen Mysterien, zuerst in der Taufe und im Abendmahl.
Die Beständigkeit, stabilitas, des Gottesdienstes und des Gebetes ist die Mission der orthodoxen Kirche in der Welt des Unglaubens, der Kirchenferne und der Verfolgung. Dem zur Seite steht die Predigt. Wer Stunden im Gottesdienst gestanden hat, erinnert sich an die Predigt, die das Gebet begleitet. In der Predigt hört die Gemeinde immer neu, wie der Prediger seinen persönlichen Glauben, seine persönliche Erfahrung mit dem auferstandenen Herrn der Gemeinde sagt. Im Russischen kann man für „predigen“ auch sagen: „das Wort sagen“.
Außerhalb des Gottesdienstes findet der Gläubige im Priester den Menschen, der in der Vollmacht Christi für ihn betet und sein Tun, sein Haus und sein Werk segnet. Ob sich der Mann ein Auto kaufen geht, oder ob die Frau vor einer Prüfung steht – sie werden den Priester um seine Fürbitte bitten, auch per Telefon, Fax oder e-mail. Das bedeutet, daß die Kirche in ihren Dienern ständig erreichbar ist. Die ständige Erreichbarkeit ist sicher ein neu zu erreichendes Ziel, aber daß sie ein Ziel ist, ist eine Kraftquelle der Mission. Gerade der Kirchenferne ist enttäuscht und zurückgestoßen, wenn er bei der Gemeinde anruft und auf die Bürozeiten verwiesen wird. Das Verlangen nach und die Möglichkeit zu einem geistlichen Gespräch läßt sich nicht in Bürozeiten beantworten. Die ständige Gegenwart der Kirche in ihren Menschen, nicht nur den Pfarrern, für eine jede und einen jeden, ist – ich wiederhole – die große Kraftquelle der Mission. Hier ist uns eine Vollmacht anvertraut, die wir keinen Augenblick unter den Scheffelstellen sollen; das möge trotz unserer Schwäche ein unablässiges Ziel und Verlangen sein.
Ein Christ hat keinen Urlaub. Beständigkeit im Gebet und im Gottesdienst und ein immer waches Herz für den Nächsten, auch in seinen kleinen und unwichtigen Nöten, ist uns anvertraut, daß wir immer und überall den Herrn verkünden mit den Worten der letzten Anrufungen jedes Gottesdienstes:
„Ehre sei DIR, Christus, unser Gott, unsere Hoffnung, Ehre sei DIR.“
Ambrosius Backhaus
(23.08.1923 – 03.04.2005)
https://www.hamburg-hram.de/ambrosius